Verrücktes Major-Weekend

Mit der bereits 19. Auflage der “US Open der Hobby-Tennis-Tour” im Tennispoint Südstadt endet an diesem Wochenende die Grand-Slam-Saison 2010. Mit dem vierten und letzten “Major” des Jahres werden gleichzeitig aber auch die “Niederösterreich-Wochen” auf der HTT eingeläutet. Maria-Enzersdorf, Traiskirchen, Heidenreichstein, “blau-gelb” ist bis tief hinein in den September die Modefarbe im Circuit, auch weil die Spieler aus Österreichs größtem Bundesland derzeit mächtig Gas geben. Nicht weniger als 12 Niederösterreicher finden sich auch im 32er-Raster des 19. September-Grand-Slam-Turniers, das trotz Abwesenheit von 9 Top 20 Spielern glänzend besetzt ist. Vorallem die Namen hinter den acht Topgesetzten geben Grund zur Hoffnung auf ein letztes echtes Major-Spektakel 2010. Und die Hartplätze an der Stadtgrenze Wiens schienen vor diesem Wochenende zudem wieder einmal ein guter und geeigneter Boden für historische Momente auf der Tour zu sein. Der an Nummer 1 gesetzte Mario Kiss strebte auf den “Spuren von Rafael Nadal” wandelnd seinem persönlichen Karriere-Grand-Slam entgegen. Bis, ja bis zum späten Nachmittag des gestrigen Sonntags, als ein einziger Ball dem historischen Vorhaben des 31jährigen ein frühes und jähes Ende bereitete und einem total verrückten Grand-Slam-Weekend ein echtes Highlight bescherte. Ein Bericht von C.L

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Sensationelles September-Grand-Slam-Halbfinale

Was für ein verrücktes Tennis-Wochenende. Die Top 3 der Setzliste nur mehr in der Zuschauerrolle, mit Martin Kova nur ein Gesetzter im Halbfinale, dazu das sensationelle und vorzeitige Aus von Titelfavorit Mario Kiss, die “US Open der HTT” bestätigten einmal mehr ihren Ruf, das bunteste und für Überraschungen prädestinierteste Grand-Slam-Event im Cirucit zu sein. Kova gegen Straninger und Prinz gegen Mayrhuber, auf dieses Semifinale hätten vor Turnierbeginn am Freitag Nachmittag wohl nur die wenigsten getippt. Doch in den drei ersten Spieltagen kam vieles – um nicht zu sagen alles – anders als erwartet. Wer konnte denn auch schon damit rechnen, dass der 3fache Grand-Slam-Champion Mario Kiss in einem vermeintlich “leichteren” Grand-Slam-Tableau schon im Viertelfinale ein “goodbye” ansagen muss. Wo kommt plötzlich dieser Martin Kova her, der zwar beim September-Grand-Slam ein halbfinaler Stammgast ist, in den letzten zweieinhalb Jahren aber auf Major-Ebene konstant von Flop zu Flop eilte. Und wer bitte schön ist dieser Christoph Prinz, der sich ohne Satzverlust anschickt, den etablierten “names” beim letzten Grand-Slam des Jahres die Show zu stehlen? Ja, diese 72 Stunden des vergangenen Tennis-Wochenendes haben die Welt der Hobby-Tennis-Tour ganz gewaltig aus ihren Angeln gehoben.

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Ein einziger Ball – eine kleine Unachtsamkeit – Kiss-Traum vom Karriere-Slam ist im Viertelfinale gegen Christoph Straninger geplatzt

11. September 2009! Fast auf den Tag genau vor einem Jahr eroberte der Ranglisten-Erste Andreas Harbarth mit dem Finalsieg über Franz Mayrhuber seinen persönlichen “Karriere-Slam”. Alle vier Major-Events zumindest einmal in seiner Laufbahn zu gewinnen, das gelang in der zwei Jahrzehnte langen Tour-Geschichte gerade einmal vier Spielern. Ein fünfter hätte es dieser Tage werden können, nämlich dann wenn Power-Server Mario Kiss das Harbarth-Kunststück von 2009 wiederholt hätte. Doch dem 31jährigen, der erstmals in seiner Karriere ein Grand-Slam-Turnier als Nummer 1 in Angriff nahm, blieb der ganz große Coup versagt. Ausgerechnet im großen Jubiläumsspiel – dem 100. Single-Match seiner erfolgreichen Laufbahn – platzte der Traum vom genialen Abschluss der Outdoor-Saison. Mit einem vollen Erfolg wäre Kiss nicht nur der Eintrag in die Geschichtsbücher der HTT sicher gewesen, nein er hätte mit den 200 Siegpunkten im 40. Saisonturnier auch den seit dem Auftaktturnier im Jänner an der Spitze des Champions-Race thronenden Andreas Harbarth abgelöst. Doch im Viertelfinale gegen Christoph Straninger wurde allen Beteiligten wieder einmal drastisch vor Augen geführt, wie knapp Sieg und Niederlage, Triumph und Tränen im Tennis beieinander liegen. Lächerliche 5 cm oder ein unachtsamer Augenblick kosteten Mario Kiss am Sonntag Nachmittag den sicher geglaubten Halbfinaleinzug bei den “US Open der Hobby-Tennis-Tour”. Ein einziger Ball brachte binnen Sekunden Marios Erfolg zum Scheitern. Was war geschehen? Der 31jährige Ranglisten-Zweite hatte gegen Forster-Bezwinger Christoph Straninger einen famosen ersten Satz auf den Hartplatz des Tennispoint Südstadt gezaubert, und trotz knapper ausgefallenem zweiten Heat im Tie-Break beim Stand von 6:5 Matchball. Ja mehr noch, eigentlich hatte Kiss sogar schon gewonnen, denn Straninger musste beim Versuch im Match und Turnier zu bleiben über den zweiten Aufschlag gehen. Und genau diesen setzte der 28jährige aus Neumarkt an der Ybby ins Out. Kiss zögerte, spielte weiter und bekam keine 40 Minuten später die Rechnung für einen lächerlichen unaufmerksamen Moment in Form einer Dreisatz-Niederlage präsentiert. Keine Diskussionen, kein Streit, keine Schuldzuweisungen, Kiss nahm das optische Blackout auf seine eigene Kappe und das viel zu frühe Aus sportlich fair im Stile eines großen Sportsmanns. “Schöner und leichter als diesmal bekomme ich es nie wieder ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Ein einziger Punkt hat heute alles entschieden. Ok, ich hätte gerne den persönlichen Karriere-Slam geschafft und auch die Führung im Race übernommen, aber dieses Match verloren zu haben, tut wirklich weh und wird mich noch längere Zeit ordentlich anzipfen”, so der 31jährige.

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Chudy hätte Kiss schlagen “können”, und Forster hätte Straninger schlagen “müssen”

Natürlich tat vorallem die Art und Weise des unglücklichen Ausscheidens weh, doch mit ein wenig Pech zwei Stunden vor dem kuriosen Malheur, hätte Kiss das Viertelfinale beim letzten Major des Jahres erst gar nicht erreicht. Denn in Runde 1 wackelte Marios Erfolgsmodell bereits gewaltig, drohte ein slowakischer Underdog den geplanten Siegeszug des März-Super-4-Champs frühzeitig zu beenden. Michal Chudy, gerade einmal eine unauffällige Nummer 58 im Entry-Computer-Ranking der HTT, brachte den Titelfavoriten mit einer höchst unangenehmen Spielweise an den Rand einer Niederlage. Erst im entscheidenden Tie-Break setzte sich die größere Klasse des topgesetzten Spielers gegen die bieder anmutende Spielkunst seines slowakischen Gegners durch. Tja, und viel hätte nicht gefehlt, und auch der Kiss-Bezwinger Christoph Straninger wäre zur Zeit des späteren Triumphs längst auf der Westautobahn in Richtung heimwärts unterwegs gewesen. Denn der 28jährige Neumarkter schien sich in der Neuauflage des am Vortag wegen Regens abgebrochenenen Achtelfinal-Schlagers gegen Sören Forster längst mit einer Niederlage abfinden zu müssen. Gegen den “Wimbledonfinalisten der HTT von 2004” lag Straninger im entscheidenden Schluss-Heat mit 3:5 zurück, ehe er sich mit vier Games in Folge doch noch ins Viertelfinale rettete. “Das war knapp, ich hätte heute eigentich auch zweimal ausscheiden können ohne mich beklagen zu dürfen”, bilanzierte Straninger.

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Martin Kova steht zum 10. Mal im Semifnale des September-Grand-Slam-Turniers und plötzlich vor der Mega-Chance auf den so heiß ersehnten 30. Karriere-Titel

Die Nummer 1 Mario Kiss nach Mega-Blackout ausgeschieden, die Nummer 2 Thomas Guem nach ausgedehnter Sommerpause samt Tour-Comeback noch nicht wieder in alt bekannter Form und raus, dazu mit Thomas Müller ein ebenfalls viel zu früh gescheiterter, und weit weg von seiner imposanten sommerlichen 2009er-Rasen-Performance agierender Mitfavorit, plötzlich ist Martin Kova (an Nummer 4 gesetzt) der letzte und einzige Top-Ten-Akteur im von Überraschungsmännern gespickten September-Grand-Slam-Halbfinale. Wer bitte schön hätte mit dem 27jährigen an diesem Wochenende gerechnet, mit jenem auf Major-Ebene in den lezten beiden Jahren so unerfolgreichen Star des TC Top Serve? Bei 4 Grand-Slams in Folge (Mai 09 bis Mai 10) schrammte Kova jeweils bereits zum Auftakt ins Aus, bei den letzten acht Starts kam der Wiener nie über das Viertelfinale hinaus. Doch anno September 2010 bietet sich für Kova plötzlich eine historische Mega-Chance. Seine Geschichte ist ja hinlänglich bekannt. Seit April 2006 wartet der ehemalige Ranglisten-Erste auf einen Turniersieg, den insgesamt 30ten seiner außergewöhnlichen Karriere. Was wäre das für eine Story, wenn Kova ausgerechnet bei den “US Open der HTT” zurück ins Rampenlicht eines Turniersiegers treten könnte. Und warum auch nicht? Die Bühne “Hartplatz-Grand-Slam” kennt keiner besser als der 27jährige. Immerhin ist das Tour-Urgestein heuer bereits zum 13. Mal beim September-Grand-Slam am Start. Und nachdem Kova am Samstag in Runde 1 den von vielen Experten weitaus höher eingeschätzen Terra-Rossa-Star Rainer Bauer bei dessen Tour-Debüt deutich in zwei Sätzen nach Hause schickte, im Achtelfinale die Pflichtübung Harald Voll souverän erledigte und im Viertelfinale seinen an Nummer 5 gesetzten Vereinskollegen Christoph Kramer im neunten Duell zum neunten Mal mit einer Niederlage beglückte, scheint der 29fache Turniersieger auch sportlich und formtechnisch bereit für den großen Coup zu sein. Mit dem 6:1, 7:5 im Viertelfinale gegen Rekordmann Christoph Kramer – der 27jährige bestritt am Wochenende sein 104. Turnier in ununterbrochener Reihenfolge – stürmte Kova auch statistisch betrachtet wieder einmal positiv aus der Reihe. Der 27jährige steht bereits zum 10. Mal im Semifinale des “HTT-US-Open”, er ist mit 506 absolvierten Single-Matches erst der zweite Spieler der Geschichte, der die 500er-Marke überbieten konnte, und er setzte in Runde 1 gegen Neuling Rainer Bauer noch zwei weitere interessante Marken. Der 6:3, 6:4 Erfolg bedeutete Karriere-Einzelsieg Nr. 340 und den 85. Grand-Slam-Einzelsieg seiner Laufbahn. Dazu stellte er mit seinem 46. Grand-Slam-Start den bisherigen Rekord von Claus Lippert (ebenfalls 46 Grand-Slam-Teilnahmen) ein. Was noch fehlt? Richtig, der 30. Turniersieg seiner Karriere. Und wann wenn nicht diesmal und hier würde es sich besser für den längst außer Reichweite geglaubten Jubiläums-Triumph eignen?

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Newcomer Christoph Prinz läßt bei Tour-Debüt die Konkurrenz mächtig zittern

Allerdings wird es für Kova im Rest des Turniers alles andere als leicht, warten doch auch in der unteren Rasterhälfte noch zwei ganz starke Kaliber. Und dabei handelt es sich nicht etwa um die Nummern 2 und 3 Thomas Guem und Thomas Müller, sondern um das ungesetzte Power-Duo Fabian Mayrhuber und Christoph Prinz. Speziell der bisherige Auftritt von Newcomer Christoph Prinz läßt die Konkurrenz zittern. Ohne Satzverlust stürmte der 26jährige Zwettler ins September-Grand-Slam-Halbfinale und damit gleich beim Debüt ins Rampenlicht der Tour-Elite. Seinen Blondschopf unter einem Kapperl versteckt, durchtrainiert und enorm laufstark, wütete der Newcomer mit seiner äußerst aggressiv und offensiv ausgerichteten Spielweise im unteren Raster-Tableau. Deutschlands neuer Nummer 1 David Hühne waren zum Auftakt drei Games gegönnt, Martin Mayerhofer wehrte sich im Achtelfinale einen Satz lang, und selbst für den an Nummer 3 gesetzten Wimbledon-Champion von 2009 Thomas Müller waren an diesem gestrigen frühen Abend nicht mehr als drei bescheidene Games drinnen. “Er ist unheimlich stark auf den Beinen, und spielt ungemein druckvoll. Er ist eine echte Bereicherung für die Tour, aber fürchten müssen wir uns nicht” so Müller, der sich unmittelbar vor seinem Duell mit dem Neuling berufsbedingt 2500 Stiegen in die Beine trat.

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Fabian Mayrhuber wie im Vorjahr im Halbfinale und Jan Ohanessi trotz Hochform mit unwüdigem und doch ganz typischem Abgang

Die nächste Bewährungsprobe für Christoph Prinz wartet im Halbfinale und heißt Fabian Mayrhuber. Der WAC-Star steht nach Siegen über Basel Abdelmoneim, Thomas Guem und August-WTB-Sieger Jan Ohanessi so wie im Vorjahr in der Vorschluss-Runde des letzten Grand-Slam-Turnier des Jahres. Und “Fabi” gilt für viele seiner Mitspieler nun als erster Kandidat für den Major-Titel in der Südstadt. Die Favoritenrolle hat Mayrhuber aber weniger aufgrund seiner spielerischen Auftritte am gestrigen Sonntag inne, sondern vielmehr aufgrund des Umstandes, dass ihm im Feld der vier verbliebenen Halbfinalisten vorallem taktisch die größten Möglichkeiten und Fähigkeiten zugebilligt werden. “Der Fabian kann genau das spielen was dem Straninger weh tut, und damit auch dem Prinz gefährlich werden”, glaubt der ausgeschiedene Mario Kiss. Wenngleich auch der Mayrhuber-Junior auf dem Weg ins Halbfinale seine Schrecksekunde zu überstehen hatte. Denn im Viertelfinale prolongierte zunächst Persiens Tourstar Jan Ohanessi seine momentane Hochform. Mit viel Selbstvertrauen nach seinem souverän und glanzvoll errungenen August-WTB-Titel und den beiden Auftaktsiegen hier in der Südstadt, ging der Terra-Rossa-Star mit 7 Einzelsiegen in Folge ins viertelfinale Duell mit Mayrhuber. Und in diesem entpuppte sich Ohanessi rasch als gleichwertiger und ebenbürtiger Gegner, der ganz ohne weiteres auch sein erstes Grand-Slam-Semifinale erreichen hätte können. Doch nach zwei beinahe genialen Tenniswochen, fabrizierte der 28jährige einen unwürdigen, leider aber typischen Ohanessi-Abgang. Es war 18:30 Uhr, als Asiens Nummer 1 beim Stand von 1:1 in Sätzen und einem wolkenlosen Himmel beim Veranstalter den Abbruch des Duells mit Mayrhuber forderte. Seinen Terminkalender für Montag kurz durchforstet, entschloss sich der “schlecht sehende Jan” dann aber doch, die Partie zu Ende zu spielen. Zwischenzeitlich führte er im entscheidenden dritten Satz sogar mit 3:2, ehe er vier Games in Folge und damit den historischen Semifinal-Platz lustlos riskierte und verlor. “Macht nichts, der Fabian ist ein Super-Spieler. Er soll weiterkommen in diesem Turnier und noch Spaß haben”, verabschiedete sich Ohanessi. “Schade, wer weiß wann sich wieder einmal eine solche Gelegenheit auftut, vorallem in jener Hochform in der sich Jan derzeit befindet”, meinten hingegen aufmerksame Beobachter.

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Claus Lippert, 12. September 2010