Das Ende des großen Traums

Mario Kiss gewinnt Juni-Grand-Slam und hält den Mythos “Grand-Slam” am Leben

Der Mythos “Grand-Slam” hat auch nach dem 16. Juni-Grand-Slam-Finale weiter Bestand. Juni-GP-Sieger Mario Kiss sorgte nämlich am Dienstag Abend mit einem 6:4, 7:6, 6:2 Erfolg über den bis dato auf Grand-Slam-Ebene ungeschlagenen Andreas Harbarth für das jähe Ende der “Harbarth`schen Grand-Slam-Träume”. Es bleibt also dabei, den Grand-Slam zu gewinnen, dürfte für die Stars der Hobby-Tennis-Tour ein scheinbar unerreichbares Unterfangen sein. Auch der Ranglisten-Erste musste dies am Dienstag Abend anerkennen. “Jetzt weiß auch ich, dass es bestimmte Gesetze auf der Tour gibt, die niemand durchbrechen kann”, meinte der 23jährige fast ehrfürchtig. Derweil jubelte Tour-Neuling Mario Kiss mit dem Grand-Slam-Pokal in Händen über einen phantastischen Sieg nach einem sensationellen Final-Match. “Ich freue mich riesig”, so der erste Kommentar des neuen Champions. Ein Bericht von C.L

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Auch Andreas Harbarth kann seinen Juni-Grand-Slam-Titel nicht mit Erfolg verteidigen

Es hätte der große Abend des Andreas Harbarth werden können. Mit einem möglichen 20. Grand-Slam-Einzelsieg wollte der 23jährige nach dem Hallen- und dem Sand-Grand-Slam-Titel auch jenen auf Kunstrasen erobern, und damit den dritten Schritt zur Unsterblichkeit, sprich zum Gewinn des Grand-Slam setzen. Der Ranglisten-Erste wäre nach Martin Kova aus dem Jahr 2003 der erste Spieler mit drei in Serie gewonnenen Major-Titeln gewesen. Harbarth hätte als sechster Spieler der Geschichte das Double “Sand- und Rasen-Grand-Slam-Erfolg” in einer Saison geschafft. Doch “wäre & hätte” sind seit Dienstag Abend exakt 20:03 Uhr nur mehr Geschichte. Power-Server Mario Kiss machte allen Grand-Slam-Triumph-Spekulationen rund um den Ranglisten-Ersten ein Ende, und feierte seinerseits nach genau 1 Stunde und 41 Minuten den Titelgewinn beim “Wimbledon-Turnier der Hobby-Tennis-Tour”. Damit blieb auch ein weiteres Tour-Gesetz aufrecht, wonach in 16 Jahren Rasen-Grand-Slam-Turnier noch niemals ein Spieler seinen Titel aus dem Vorjahr erfolgreich verteidigen konnte.

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Kiss holt ersten Satz nach 36 Minuten und einer echten Breakorgie

Den ganzen Tag über regnete es über Wien, doch für den großen finalen Showdown machte der Regen eine Pause. Sogar die Sonne hat ihren Auftritt, und sorgte für einen würdigen Rahmen rund um das Endspiel des 30. Kunstrasen-Turniers der Geschichte. Kiss eröffnete den Final-Schlager mit Aufschlag und trotz zweier Doppelfehler mit einer 1:0 Führung. Doch schon in diesem ersten Service-Game des 28jährigen wurde klar, dass eine geniale Aufschlag-Show wie im Juni-GP-Finale vor zwei Wochen ausbleiben wird. Dreimal in Folge musste Kiss danach im ersten Satz sein Service abgeben, womit die Grundlage für eine wahre Break-Orgie geschaffen war. Kiss hatte hart zu kämpfen, mit den windigen, ihm gar nicht entgegenkommenden äußeren Verhältnissen, und einem Gegner, der an der Grundlinie die unglaublichsten Kiss-Geschosse scheinbar spielerisch entschärfte und dem anstürmenden Kontrahenten in dessen Rechteck zurückbugsierte. Und mit dieser Taktik holte sich Harbarth im neunten und längsten Game des ersten Satzes dann auch zwei Breakchancen, die er sträflicher Weise ungenützt läßt, während Kiss längst um die Wichtigkeit dieses Aufschlagspieles wissend, sich mit einem ganz schweren tiefen Volley einen Spielball sichert, diesen mit einem wuchtigen Service-Winner zum 5:4 verwandelt, und dem Spielgewinn ein lautes “come on” hinterher schickt. Erste offene Emotionen also, die Harbarth vorerst unberührt zu scheinen lassen. Allerdings muss der 23jährige beim Versuch den Satzverlust mit eigenem Aufschlag zu verhindern ausgerechnet auf die von der tiefstehenden Sonne beeinträchtigten Seite des Courts, und kassiert dort auch prompt das entscheidende Break. Ein am Netzband hängen bleibender Vorhand-Cross-Ball Harbarths bringt seinem Gegenüber den ersten Satzball, und den nützt Kiss mit einem erfolgreich verwandelten Volley nach genau 36 Minuten zur 1:0 Satzführung. Die Faust geballt, jubelte der 28jährige über den Super-Flugball zum richtigen Zeitpunkt. Da war er also, der im Vorfeld als so wichtig erachtete erste Satz.

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Auch Durchgang 2 geht nach Super-Finish an den 28jährigen Tour-Newcomer

Je ein Break und dazu solide Aufschlagleistungen auf beiden Seiten sorgten für eine eher höhepunktlose Anfangsphase des zweiten Satzes, der die Zuseher bei 4:4 aber schlagartig mit einem super-dramatischen Finish entschädigt. Kiss serviert, und Harbarth hat plötzlich begleitet von einem ohrenbetäubenden “vamos” drei Breakbälle zur 5:4 Führung. Doch Harbarth läßt alle drei Möglichkeiten ungenützt, und dieses neunte Game wird zum Sinnbild für die größte Harbarth-Schwäche an diesem Tag. Der 23jährige versagte ein ums andere Mal beim verwandeln der “big points”. Die Final-Statistik zeigt auf, der Ranglisten-Erste konnte nur 6 seiner insgesamt 22 Breakchancen verwandeln. 5 Punkte in Folge sichern Kiss indes das 5:4, die Vorentscheidung in diesem zweiten Heat schien gefallen. Die Sonne über der Hans-Bock-Anlage hinter einer grauen Mega-Wolke verschwunden, doch Harbarth blieb in dieser heißen Phase “cool”, glich ohne Probleme zum 5:5 aus, um Minuten später nach dem längsten Game des zweiten Satzes mit einem Break sogar 6:5 in Führung zu gehen. Diesmal haderte Kiss mit der plötzlich wieder sonnenbestrahlten Seite des Platzes. “Wieviel Pech muss man haben, dass ausgerechnet zu diesem wichtigen Zeitpunkt die Sonne wieder hervorkommt”, schrie der spätere Sieger. Doch Harbarth kann bei eigenem Aufschlag den Sack nicht zumachen, muss mit zwei fehlgeschlagenen Netzangriffen das erneute Break zum 6:6 hinnehmen, und im anschließenden Tie-Break schmerzlich miterleben, wie leicht man gegen einen Top-Mann wie Kiss eine 4:1, bzw. 5:3 Führung aus der Hand geben kann. Bei 5:6 versucht Harbarth mit einem verzweifelten Netzangriff sein Heil, läuft dabei aber direkt in den einzigen Lobversuch seines Gegners, der perfekt ausgeführt nach weiteren exakt 45 Minuten die 2:0 Satzführung bedeutet.

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Kiss sichert sich mit Super-Show im dritten Satz als 12. Spieler den Juni-Grand-Slam

Statt 1:1 in Sätzen lag der 2fache Saison-Grand-Slam-Champion plötzlich 0:2 zurück, ein Schock von dem sich der 23jährige trotz rascher 1:0 Führung im dritten Durchgang nicht mehr erholen sollte. Fortan spielt Kiss mit dem Selbstvertrauen einer kompfortablen 2:0 Satzführung seine ganze Klasse aus, nimmt noch mehr Risiko und führt damit den Hobby-Tennis-Tour-Star phasenweise grauenvoll vor. Mit 9 Punkten in Serie und 16 der folgenden 19 ausgespielten Punkten zieht Kiss mit 4:1 davon, inkludiert dabei zwei Breaks, was bei der Aufschlagstärke des 28jährigen Tour-Newcomers praktisch schon der Entscheidung gleichkam. “Aus und vorbei, bei mir ist der Pfeffer raus, und bei ihm geht jetzt einfach alles”, kommentierte Harbarth den einseitigen dritten Satz, in dem Kiss mit Zauberbällen die Zuseher begeisterte. Während seiner großen finalen Demo konnte sich “Super-Mario” sogar noch einen Aufschlagverlust leisten, ehe er sich zum “ausservieren” des Endspiels anschickte. Und in diesem letzten Service-Game stellte Kiss noch einmal seine imposante Aufschlagstärke unter Beweis, donnerte bei 15:30 drei Service-Winner in Folge ins Aufschlagfeld seines Gegners und sich selbst zum “Wimbledon-Titel der Hobby-Tennis-Tour 2007”. Exakt drei Minuten nach 20 Uhr war der Traum vom Grand-Slam für Harbarth zu Ende, und Mario Kiss die Nachfolge Harbarths als Rasen-Grand-Slam-Champion angetreten. Beide Arme zum Zeichen des Sieges empor gestreckt, ließ sich der Senkrechtstarter als 12. Rasen-Grand-Slam-Champion der Tour-Geschichte feiern.

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“Mehr als der Titel freut mich der Sieg gegen Harbarth und die starke Leistung”

“Die Mission ist erfüllt”, bestätigte jener Mann, der vor zwei Wochen auszog um den Grand-Slam-Triumph Harbarths zu verhindern, ehe er sich glücklich und freudestrahlend einer ersten Turnier-Analyse stellte. “Mehr als der Titel freut mich noch gegen Harbarth gewonnen, und dabei eine echt starke Leistung gezeigt zu haben. Nach dem Turnierverlauf hätte ich nicht mit dem Titel heute gerechnet. Speziell nach den beiden gestrigen Halbfinalspielen habe ich mir nicht mehr viel für das Endspiel erwartet”. Nach den ersten Worten, ein trockenes Leibchen angezogen, begab sich Kiss mit dem Pokal in Händen in Richtung Foto-Shooting, und er tat dies mit einem herzhaften und echten Lächeln. Ein wahres Glücksgefühl muss den 28jährigen in diesen Sekunden überkommen sein. “Ich freue mich riesig. Jetzt habe ich einen zweiten zweitschönsten Pokal”, strahlte der neue “Wimbledon-Sieger der Hobby-Tennis-Tour”. Zur selben Zeit saß der entthronte Titelverteidiger auf der Spielerbank des Finalcourts, beobachtete wehmütig die Sieges-Zeremonie und trauerte in Gedanken wohl nochmals den vielen durchaus vorhandenen Chancen nach, die ihm den möglichen Grand-Slam kosteten.

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“Im Moment fühle ich eine große Leere – mir sind die Ziele ausgegangen”

“Jetzt schaue ich aus wie der Bernhard Nagl im Vorjahr. Irgendwie ist es genau wie letztes Jahr gelaufen. Ich habe meine Chancen nicht verwertet, genauso wie der Bernie im letztjährigen Finale gegen mich. Ich habe mein Formtief einfach nicht ganz überwunden, und Mario hat ein großartiges Spiel gemacht. Der Titel wäre ein Wunder gewesen, und eigentlich habe ich schon vor dem Turnier mit einer Niederlage gerechnet”, erklärte der Ranglisten-Leader. Minuten später feierte Harbarth dann doch noch einen kleinen Sieg über Kiss, nämlich bei der Schlacht am Buffet wo der Neo-Simmeringer seinem Nachfolger als Rasen-Champion das letzte Käse-Brötchen wegschnappte. Danach ließen die beiden Tour-Stars noch ein interessantes Fachsimpeln folgen, wo Eindrücke aus dem Finale und Ausblicke auf die restliche Saison zu erfahren waren. “Im dritten Satz habe ich mit enorm viel Selbstvertrauen gespielt, da hätte ich vermutlich auch mit geschlossenen Augen gewonnen. Jetzt habe ich zwar Harbarth am Gewinn des Grand-Slams gehindert, das US Open der Hobby-Tennis-Tour werde ich aber mit Sicherheit spielen. Und sollten mir für die Masters-Qualifikation noch ein paar Punkte fehlen, dann werde ich eventuell auch noch ein kleineres GP-Turnier mitnehmen”, bestätigte der Shooting-Star seine Zukunftspläne auf der Tour. Nicht so konkret konnte sich hingegen Harbarth zu seinen weiteren Vorhaben äußern. “Im Moment fühle ich eine große Leere. Mit der heutigen Final-Niederlage habe ich plötzlich keine Ziele mehr. Eigentlich wollte ich nach einem möglichen Sieg hier und heute meinen gesamten Fokus auf das Hartplatz-Grand-Slam-Turnier Anfang September richten. Ich hätte nur mehr auf Hartplatz gespielt und viel dort trainiert, um das große Ziel zu erreichen. Jetzt weiß ich nicht wie es weitergeht. Die Enttäuschung ist natürlich vorhanden, aber ich denke sie wäre noch größer gewesen, wenn ich beim letzten Grand-Slam-Turnier im Finale verloren hätte”.

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Claus Lippert, 11. Juli 2007